Herr Fontanella, Sie stammen aus einer Eiskonditoren-Familie. Mit welcher Generation hat alles begonnen?
Mein Urgroßvater, er war Jahrgang 1848, arbeitete in einem Tal in den Dolomiten als Schmied und stellte Nägel her. Für den Hausbau, venezianische Schiffe, für Bergschuhe. Das gesamte Tal war spezialisiert auf dieses Handwerk, doch mit dem Beginn der Industrialisierung brach der Absatz ein. Die Jungen mussten auswandern um Arbeit zu suchen, so auch mein Großvater (1878-1948). Er fand eine Stelle in der Patisserie und machte sich 1906, mit 28 Jahren, mit einer Kuchen- und Eiskonditorei in Conegliano/Venezien selbstständig. Das Eis ist in unseren Genen.
Wann kam Ihre Familie nach Deutschland?
Das Geschäft meines Großvaters lief so gut, dass er seinen Kindern ein Studium ermöglichen konnte. Mein Vater schrieb sich für Germanistik ein. Um sein Schuldeutsch zu verbessern, folgte er 1931 seinem Onkel nach Hannover - denn wo kann man sein Deutsch besser perfektionieren?!
Doch er lernte nicht nur Deutsch.
Nein, er wurde auch zum Geschäftsmann. Mein Onkel wollte in einem Vorort von Hannover ein weiteres Eiscafé eröffnen. Er fragte meinen Vater: "Kannst du dir vorstellen, den Laden zu führen?" Am nächsten Morgen sagte mein Vater nicht nur zu, er wollte den Laden gleich selbst aufbauen. Allerdings musste er ihn nach zwei Monaten wieder schließen - die Behörden hatten festgestellt, dass mein Vater noch gar nicht volljährig war.
Oh.
Ein Jahr später eröffnete er seinen Laden einfach ein zweites Mal. Als Unterstützung kamen sein Bruder und die ältere Schwester. Sie führten das Eiscafé zu dritt und parallel arbeitete mein Vater als Vertreter der ersten Eismaschine, die überhaupt im Handel war. Er reiste sehr viel in dieser Zeit und erinnerte sich daran, was er in einem Deutschbuch gelesen hatte: In Mannheim beginne das Deutschland, das von der Mentalität und dem Wetter Italien sehr ähnlich sei. Er wollte sich dort umschauen, ob er eine Eisdiele eröffnen könnte. Ein Freund gab ihm noch etwas auf den Weg: "Ich habe gehört, dort gibt es ganz tolle Frauen."
Ihre Mutter ist Mannheimerin?
Ja, mein Vater war begeistert von der Stadt – und von den Frauen. Am 18. April 1933 eröffnete er hier einen Laden schräg gegenüber von unserem heutigen Stammhaus.
Mario Fontanella mit seiner Frau Renate im Jahr 1954, Foto: Eis Fontanella Eismanufaktur Mannheim
Sie sind also im Eiscafé aufgewachsen?
Ich lebte in Italien bei der Schwester meines Vaters, denn meine Eltern mussten ja in Deutschland arbeiten. Aber die vier Monate Sommerferien verbrachte ich in Mannheim bei meinen Eltern. Schon mit sieben Jahren stand ich hinter der Theke, was viel mit meinem Vater zu tun hat. Er war für mich ein Held.
Ein Held?
Ja, er war der beste Vater, den man sich wünschen konnte. Er fuhr Skirennen, er fuhr Autorennen und war auch ein guter Geschäftsmann. Ein Vorbild ohne Ende! Ich wollte so werden wie er. Jemand baute mir ein Holzpodest, damit ich überhaupt in die Eiskübel langen konnte. Damals fassten sie noch 54 Liter und ich musste meine Arme sehr lang machen.
Zehn Jahre später haben Sie das Spaghetti-Eis erfunden. Wie kam das?
Um meinem Vater nachzueifern, fuhr ich in Italien jedes Wochenende Skirennen. Einmal ging ich mit zwei Freunden nach dem Training in ein Café und entdeckte auf der Karte das Dessert Mont Blanc. Ich war neugierig und bestellte es. Auf einem Silberteller wurde mir ein Berg braune Schnürchen mit Zuckerhaube serviert. Es war sensationell! So filigran, so leicht. Da wollte ich von der Wirtin wissen, wie sie diese Form erreicht hatte. "Das ist ganz simpel", antwortete sie. "Ich habe einfach Kastanien-Püree durch eine Kartoffelpresse gedrückt."
Sie dachten dann gleich an den Eisladen Ihres Vaters.
Genau. Als ich Ostern 1969 in Mannheim war, ließ ich mir von meiner Oma Geld für eine Spätzle-Presse geben. Meine deutsche Oma finanzierte mich immer, ich musste ihr nur eine Postkarte schreiben mit "Liebe Grüße aus Italien" und schon bekam ich zehn Mark. Aber die Idee vom Spaghetti-Eis war noch nicht geboren, ich wollte einfach mit Eis die Form der Kastaniencreme nachahmen.
Und klappte das gleich?
Es war ein Samstag und die Läden schlossen 14 Uhr, die Eisküche war also frei und ich wollte meinem Freund Jochen die neu kreierte Spezialität vorführen. "Es wird ein Schlager, es wird eine Revolution", tönte ich selbstbewusst. Ich spülte die Presse mit warmen Wasser ab und jagte das Eis durch die Presse. Pistazie, Zitrone und Erdbeere – die Farben der italienischen Flagge. Das, was herauskam, war einfach nur Matsch. Mein Freund sagte: "Also ich glaube nicht, dass das so einen großen Erfolg haben wird." Ich verstand die Welt nicht mehr und probierte es einfach nochmal. Es wurde schon besser. Nun wusste ich, dass die Spätzlepresse kalt sein muss und legte sie in den Gefrierschrank. Beim nächsten Versuch landete eine schöne italienische Eisflagge auf dem Teller und ich präsentierte alles sofort meinem Vater: "Papà, schau dir das an!" Er erhob seinen Blick vom Schreibtisch: "Also ich habe noch nie bunte Spaghetti gesehen. Ich würde dir empfehlen, es mit Vanille-Eis zu probieren."
Nun fehlte noch die Soße.
Ich dachte zunächst an Tomatensoße mit Hackfleisch und wir schnitten Himbeeren klein. Doch mit „Tomatensoße“ funktionierte es besser. Als Jochen und ich die pürierten Erdbeeren über das Eis schütteten, war das war ein Gänsehaut-Moment, es war sensationell. Dann hatte ich noch eine Idee: Ich stellte den Eisberg wieder in die Tiefkühltruhe und sprintete hoch in die Wohnung, um ein weißes Schokoladenei und unsere Parmesanreibe zu holen. In drei Schritten war ich wieder unten und rieb nun die Schokolade über das Eis. Das Spaghetti-Eis war erfunden.
Hatten Sie keine Angst, dass jemand die Idee klauen könnte?
Doch, doch. Ich ging zu einem befreundeten Anwalt und sagte: "Ich möchte, dass diese Spezialität mir gehört. Sie müssen was finden, egal wie." Er klärte mich auf: "Die Form kannst du nicht schützen, denn jeder hat das Recht durch die Spätzlepresse zu jagen, was er will." "Und den Namen Spaghetti-Eis? Kann ich den schützen?", wollte ich wissen. "Ja theoretisch schon, aber das kostet 300, 400 Mark und dann kann immer noch ein anderer kommen und dein Eis als Nudel-Eis verkaufen." Als 17-Jähriger hatte ich nicht das Durchsetzungsvermögen, um zu sagen: „Jetzt schützen wir wenigstens Spaghetti-Eis."
Stimmt es, dass Kinder weinten, als sie ihr Eis vorgesetzt bekamen?
Nicht jedes Kind weinte, aber es gab schon ein paar Fälle. Früher war das Spaghetti-Eis ein Gag. Wenn Familien mit ihren Kindern kamen, sagten sie: "Für den Junior bringen Sie noch so eins." Dabei zeigten sie auf das Spaghetti-Eis in der Karte, es sollte eine Überraschung sein. Die Bedienung brachte dann die Eisbecher und sagte zum Junior: "So und für dich einmal die Spaghetti." Die Kinder sahen die Eisbecher ihrer Eltern und dann ihren Teller. Da schossen so manchem Kind die Tränen in die Augen.
Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.
Heute weiß jeder alles, aber damals war das ein kleines Geheimnis und wir versteckten die Spätzle-Presse vor unseren Kunden. Man muss ein bisschen zurückspulen: Bis 1978 hatte eine gut geführte Eisdiele höchstens zwölf Eis-Sorten. Es gab Eiskaffee, Aprikosenbecher, Fruchtbecher, Cassata und weitere vier bis fünf Spezialbecher, Portionen klein, mittel, groß, mit Schlagsahne oder ohne. Das Spaghetti-Eis war etwas Futuristisches.
Wie oft mussten Sie diese Geschichte eigentlich schon erzählen?
Sehr oft, denn sie gehört einfach zu mir - wie meine Familie.
Sie klingen stolz.
Klar! Es gibt in Deutschland schätzungsweise 8.000 Eisdielen und jährlich werden zwischen 25 und 30 Millionen Portionen Spaghetti-Eis verkauft. Manchmal werde ich von Kollegen umarmt, denn es ist der meistverkaufte Eisbecher in Deutschland. Und sogar im Duden hat mein Eis einen Platz.
Wären Sie auch ohne Ihre Erfindung zum erfolgreichen Unternehmer geworden?
Das sind zwei verschiedene Dinge. Wir produzieren ein hervorragendes Produkt und werden von Sterneköchen geschätzt. Spaghetti-Eis ist wie ein Adelstitel, den ich trage.
Nervt das?
Absolut nicht! Dieser Adelstitel ist ein Teil meines Ehrgeizes. Ich war und bin Sportler, die Platzierung ist natürlich sehr wichtig. Ich konnte nach einem Skirennen nicht zu meinem Vater sagen: "Papà, ich bin Zweiter geworden." Da hätte er mich verständnislos angeschaut: "Hast du wirklich nichts gelernt? Der Zweite ist der erste Verlierer!"
Haben Sie ihn nie enttäuscht?
Ein Jahr und ein paar Monate vor meinem Abitur schmiss ich die Schule. Für meinen Vater war das keine große Freude und er ließ mich in einem Hotel arbeiten. Als Volontär - der Lehrling war mein Chef. Ich wollte trotzdem nicht an die Schule zurück, sondern nahm mir fest vor: Ich werde meinem Vater beweisen, dass ich im Leben der Erste sein werde – wenn auch nicht in der Schule.
Interview: Juliane Primus
So macht der Erfinder das Spaghetti-Eis:
Video-Anleitung
Hier gibt es das Original:
www.fontanella.de