Das große Taumeln begann mit einem Sturz. 400 Jahre ist es her, seit böhmische Aufständische die kaiserlichen Gesandten Martinic und Slavata sowie den Kanzleisekretär Fabricius aus einem Fenster der Prager Hofburg warfen und so den Dreißigjährigen Krieg auslösten. Die kaiserlichen Beamten und der Sekretär überlebten Dank des Misthaufens unter dem Fenster zwar. Knapp 40 Prozent der Bürger im Kriegsgebiet hatten aber nicht so viel Glück. Sie starben auf dem Schlachtfeld, durch Plünderungen, Raubzüge, Schändungen, Hunger und Kriegswahn. „Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Carthaun, hat aller Schweiß und Fleiß und Vorrat aufgezehret“, schrieb der deutsche Dichter Andreas Gryphius (1616-1664) in seinem bekannten Gedicht „Tränen des Vaterlands“. Eine schmerzlich wahre Analyse.
Für bis heute irreparable Verluste hinterließ die Zerstörungswut des Dreißigjährigen Krieges indes auch in der Geschichtsschreibung und der Ahnenforschung. Zwischen 1618 und 1648 brannten unzählige Kirchen aus, ein Großteil der Kirchenbücher wurde so vernichtet. Dieser Umstand wurde zur Zäsur, denn bis zur Einsetzung der Standesämter 1870 wurden in diesen Büchern Geburten, Hochzeiten und Todesfälle der Gemeindemitglieder festgehalten. Die Zerstörungen haben die schriftlichen Aufzeichnungen über das Leben zahlreicher Menschen somit komplett ausgelöscht. Viele private Stammbaumforschungen müssen daher im 17. Jahrhundert enden.
Dass die Kirchen von den Kriegshandlungen nicht verschont blieben, mag den Regelungen des Augsburger Religionsfriedens (1555) geschuldet sein, wonach jeder Untertan der Konfession seines Herrschers anzugehören habe. Da diese Herrscher im Kriegsverlauf häufig wechselten, änderte sich auch die Konfession in manchen Reichsgebieten öfter. Die Folge waren Racheakte zwischen Katholiken und Protestanten. Dabei dürfen die Auseinandersetzungen zwischen den Kriegsparteien allerdings nicht, wie oft geschehen, als reiner Religionszwist überinterpretiert werden. Der konfessionelle Streit diente eher als Deckmantel für politisches Machtstreben, wie der Historiker Georg Schmidt in seinem Werk "Die Reiter der Apokalypse" schreibt.
Schmidt erklärt außerdem, dass der Dreißigjährige Krieg mithilfe von Flugblättern und der Nachrichtenchronik Theatrum Europaeum zum ersten großen medial rezipierten Krieg der Geschichte wurde. Diesem Umstand mag es zu verdanken sein, dass der Dreißigjährige Krieg trotz der zahlreichen verlorenen Quellen einen so nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat. Erinnerungen an das große Wüten finden sich in ganz Mitteleuropa bis heute. In zahlreichen deutschen Städten existieren Gustav-Adolf- oder Wallensteinstraßen. Das Bezirksmuseum der tschechischen Stadt Cheb, in der 1634 Feldherr Wallenstein ermordet wurde, zeigt dessen ausgestopftes Pferd. Auch die Mordwaffe, eine „Partisane“ genannte Stangenwaffe lässt sich dort finden.
Die sächsische Brauerei „Ur-Krostitzer“ wirbt unterdessen mit einem Bild des Schwedenkönigs Gustav Adolf, da sich dieser mit einem Krug jenes Bieres erfrischt habe, bevor er 1632 in die für ihn schließlich tödliche Schlacht bei Lützen ritt. Ein Denkmal erinnert dort heute an den protestantischen Herrscher. In Münster findet sich schließlich im historischen Rathaus der Beratungssaal, in dem Teile des Westfälischen Friedens von 1648 ausgehandelt wurden. Dieser beendete den Krieg, sorgte für Religionsfreiheit unabhängig vom Herrscher und die weitestgehend noch heute gültige konfessionelle Prägung Deutschlands.
Weitere Informationen:
Georg Schmidt, "Die Reiter der Apokalypse", Verlag C.H. Beck