Der Lychener Achim Rensch erinnert sich an eine Zeit, als Möbel noch per Pferdewagen geliefert wurden.
Achim Rensch mit Maultier Quathy auf dem Mulihof in Hohenlychen.
"Mein Zuhause ist in Lychen. Hier bin ich geboren und hier habe ich meine Kindheit verbracht. Meine Beziehung zu diesem Ort ist schon eine besondere. Sie ist so stark, dass ich selbst für Urlaube gar nicht von hier weg möchte. Meine Frau ist ein bisschen reiselustiger als ich, und wenn es doch mal in die Ferne gehen soll, nach Lanzarote oder Malta, fällt es mir schwer, Abschied zu nehmen – obwohl es nur für zwei Wochen ist und ich weiß, dass die Tiere und der Hof von unseren Kindern gut versorgt werden.
Den Flitz mit den Tieren und der Landwirtschaft habe ich von meinem Großvater Franz. Er wurde 1899 in Lychen geboren und war Fleischer; sein Geschäft befand sich in der Hospital-/Ecke Lindenstraße, wo heute Frau Dr. Schumacher ihre Praxis hat. Schräg gegenüber, auf der anderen Straßenseite, hatte Karl Lehmann seine Schmiede – und eine hübsche Tochter, Anna. Ja, und so blieb es nicht aus, dass sich Franz in Anna verliebte.
Meine Großeltern hielten Viehzeug: Schafe, Schweine, ein bis zwei Kühe und zwei Pferde. Und das mitten in der Stadt! Die Lychener waren damals eben Ackerbürger: Ein Großteil der Bewohner lebte von seinem Gewerbe und der Landwirtschaft. Zu den Häusern innerhalb der Stadtmauer gehörte jeweils ein langes, schmales Ackergrundstück, das sich außerhalb der Stadtmauer befand und rund zwei oder drei Morgen groß war. Damit konnten sich die Bürger ernähren, auch wenn sie mit ihrem Handwerk mal kein Geld verdienten. Früher erhielten sie auch jedes Jahr kostenlos drei bis vier Meter Brennholz von der Stadt, und alle zwei Jahre einen Stamm für Reparaturen am Haus. Zudem durfte man in den Lychener Seen fischen, aber nur für den eigenen Topf, nicht für den Handel. Das war die sogenannte Küchenfischerei.
Lotte, ein stadtbekanntes Pferd
Opa Franz sattelte später um: Er gab die Fleischerei auf, wurde Kutscher und baute sich einen kleinen Fuhrbetrieb auf. An eines der Pferde kann ich mich besonders gut erinnern: Lotte. Sie war ein buntes, also geschecktes, Pferd und ist im selben Jahr geboren wie ich – sie hat meine Pferdezukunft stark geprägt. Die Schecken sind bis heute ein wichtiger Teil meines Lebens. Lotte war übrigens stadtbekannt, besonders bei den Bewohnern in meinem Alter oder jünger. Denn mein Vater Helmut arbeitete im Kindergarten als Hausmeister und nahm Lotte regelmäßig mit zur Arbeit, wo sie von den Kindern wie ein Maskottchen behandelt wurde.
Achim Rensch als junger Mann mit den Pferden Loni und Lotte (r.) in der Hospitalstraße gegenüber der alten Schmiede, aufgenommen etwa 1986.
Obwohl mein Opa keine Fahrerlaubnis hatte, war er immer unterwegs – mit Pferd und Wagen eben, und zum Hausschlachten mit dem Fahrrad. Er fuhr mit dem Pferdewagen Kohle aus, transportierte Boote oder lieferte Schränke aus, die die Leute im Möbel-Konsum gekauft hatten. Ich selbst fuhr im Alter von fünf, sechs Jahren zum ersten Mal mit. Das faszinierte mich! Auf Lotte lernte ich reiten und als ich 13, 14 Jahren alt war, sagte Opa: „Wer reiten kann, kann fürs Pferd auch Futter holen.“ So fuhr ich das erste Mal alleine mit dem Pferdewagen zum Wurlsteig, um zu mähen und Grünes zu holen.
Effektiver Transport mit zwei PS
Bald fuhr ich regelmäßig für meinen Großvater und freute mich darüber, mein eigenes Geld zu verdienen. Ich kam gegen 14, 15 Uhr aus der Schule, meine Oma setzte mir etwas zum Essen vor und dann fragte ich: „Ist was zum Fahren?“ „Ja, der will seinen Kahn zu Wasser gebracht haben und der will Holz transportieren lassen.“ So hatte ich immer viel zu tun! Eine Tonne Kohle zu transportieren und in den Keller zu schippen, brachte 15 Mark, das war damals eine Menge Geld.
Ich hatte mit dem Pferdewagen übrigens Vorteile gegenüber einem W50, dem typischen DDR-Lkw. Ich konnte nämlich über fast jeden Weg und in jeden Hof rollen – immer schön nah ran an die Keller oder Schuppen. Traktoren gab es damals sehr wenige, und ein Auto mit Anhänger-Kupplung war eine echte Ausnahme. Außerdem durfte ein Trabant natürlich keine hohen Gewichte ziehen, mit zwei Schweinen war er schon überladen. Mit zwei Pferdestärken klappte der Transport auf alle Fälle besser!
Manchmal fuhr ich auch Mist aus, den mein Opa an einige Kleingärtner verkauft hatte. Die fragten: "Franz, kannste mal ne Fuhre Mist bringen?" "Ja, ich sag dem Bengel Bescheid“, antwortete mein Opa. Dann fuhr ich (damals noch mit schulterlangen Haaren) also mit einer Fuhre Mist durch den Ort – und zog die mitleidigen Blicke der Urlauber auf mich. Mir ging durch den Kopf: "Wenn du denen jetzt noch sagst, dass du bald Abitur hast, denken die: 'Ja, und spinnen tut er auch.'" Das war immer so mein Eindruck.
Im selben Jahr, als ich die Schule verließ und zur Armee ging, starb mein Opa. Es war das Ende einer Ära, denn mein Vater wollte das Fuhrgeschäft nicht weiterführen; und ich war ja nun in der Kaserne. Natürlich wollte ich danach wieder zurück in meine Heimat, aber Pferde sollten mein Hobby bleiben und nie mein Beruf werden. Das dachte ich zumindest damals…"
Aufgezeichnet von Juliane Primus
Achim Rensch wurde am 4. Januar 1957 in Lychen geboren, nach dem Abitur und der NVA ging er 1978 zum Landwirtschafts-Studium nach Rostock. Im Anschluss leitete er die Tierproduktion der LPG in Beenz, die nach der Wende in eine Agrargenossenschaft umgewandelt wurde, dort blieb er bis 2004. Schon 1991 hat er mit seiner Frau Grit, genannt Gretel, die Reit- und Fahrtouristik Lychen im Nebenerwerb gegründet, seit 2004 führt er das Unternehmen im Haupterwerb. Möbel werden heute nur noch selten transportiert, aber die Kremser-Fahrten sind beliebt. Zweimal ist sogar schon Angela Merkel mitgefahren!
Der Text ist zuerst in der "Neuen Lychener Zeitung" erschienen.