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Der Normen-Papst tritt ab

Ich würde gerne von einem Kunden erzählen, dessen Erinnerungen ich in den vergangenen Monaten aufschreiben durfte. Er hat mir per Video-Chat sein Leben erzählt, ich habe Fragen gestellt und mitgeschrieben. Über seine Kindheit, Jugend, den Job, die Liebe, seine Kinder, seine Philosophie, eben alles.

Es hat viel Spaß gemacht, mit Herrn Fahrni zusammenzuarbeiten. Die Chemie stimmte; und vor allem hatte er hatte viel erlebt, war weit rumgekommen – und hatte einen interessanten Job gehabt. Er war nämlich Mitglied mehrerer Normenkommissionen gewesen und hatte mitbestimmt, wie ein Heizkörper konstruiert sein muss, oder dass Wasserkocher nur kurze Kabel haben dürfen (weil sie stets beaufsichtigt werden und daher in der Nähe sein sollten).

In diesem Beruf musste man sehr korrekt sein, alles genau im Blick haben, Verantwortung übernehmen. Und das alles traf auf Herrn F. in höchster Weise zu: Er war nämlich immer pünktlich, sehr präzise und korrekt. Wenn sich in seinen Erinnerungen eine Lücke auftat, schlug er nach.

Unser letztes Interview führten wir Mitte Dezember, das Thema: Der Ausblick nach vorne. Herr F. hatte einen Plan für alles. Er hatte seine eigene Todesanzeige schon gestaltet und die Farbe der Umschläge (blau, nicht schwarz umrandet) ausgesucht. Er hatte sein Erbe geregelt. Und er hatte eine Patientenverfügung: Im Fall der Fälle wollte er nicht beatmet werden, sagte er, auch nicht bei einer Erkrankung mit Covid19. Als er das Mitte Dezember sagte, war es nur als Fußnote für das Buch über sein Leben gedacht.

Aber an Heiligabend schickte er mir dann eine WhatsApp-Nachricht: Er sei an Covid19 erkrankt und liege im Krankenhaus. Es gehe zu Ende: „Schicken Sie die Schlussrechnung!“ Darauf bestand er, sandte an dem Tag noch zwei weitere Nachrichten: Er wolle unbedingt schnell die Rechnung haben, um vor dem Tod noch alle Zahlungen zu begleichen. Das Buch solle ich dann im neuen Jahr fertig machen, für seine Hinterbliebenen. Ich zögerte, dachte viel nach… schickte am Weihnachtstag dann aber doch die Rechnung, es war schließlich sein Wunsch. „Machen Sie’s gut, Herr Fahrni“, schrieb ich dazu.

Am ersten Werktag nach Weihnachten war das Geld auf dem Konto, tags darauf kam die Todesnachricht mit der Post – im blauen Umschlag. Ich musste schlucken und ich kann’s noch immer nicht recht glauben. Dass wir einen halben Monat noch per Videochat miteinander gesprochen und gescherzt hatten, er bei bester Gesundheit schien. Dass wir über Corona sprachen, als er sich womöglich schon infiziert hatte. Dass sich jemand auf dem Sterbebett noch um unbezahlte Rechnungen kümmert. Was für ein besonderer Mensch!

Danke, Herr Fahrni, für das Vertrauen, das Sie in mich und die Memoiren-Manufaktur gesetzt haben. Das Buch ist toll geworden!

              Juliane

 

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